Fachkräftemangel – Das große Leiden der Hotelbranche
Laut Arbeitsmarktservice (AMS) beschäftigten Gastronomie und Hotellerie im Juni 2021 132.000 Personen – im Juni 2019 waren es noch 230.000 gewesen. Durch Jobverlust und unsichere Zukunftsaussichten im Tourismus wechselten viele in andere Branchen. Der Mitarbeitermangel war bereits vor Corona eine der größten Herausforderungen, hat sich durch die Pandemie jedoch nochmals wesentlich verschärft. Meines Erachtens ist es Zeit, die Erkenntnisse aus der Krise zu nutzen, komplett umzudenken und neue Wege zu gehen – ich halte es hier mit Churchill: “Never let a good crisis go to waste!”
Längst leben wir in der „VUKA-Welt“, geprägt von Volatilität, Unsicherheiten, Komplexität und Ambiguität. Wir sind gefordert, uns ständig neu auszurichten und uns den äußeren Gegebenheiten anzupassen. Die Hotellerie ist eine sehr innovative Branche, wenn es um die Erarbeitung neuer Hotel- und Gastronomiekonzepte geht. Investoren und Hoteliers wenden Millionen für ihre „Hardware“ auf, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Nun ist es aber an der Zeit, in digitale Lösungen und in ihr wichtigstes Gut – die Mitarbeiter*innen – zu investieren. Die Arbeitswelt befindet sich im größten Transformationsprozess seit der industriellen Revolution, welchen die Pandemie zusätzlich beschleunigt. Begriffe wie „New Normal“, „New Work“ und „Agilität“ sind allgegenwärtig. Gäste kommen heute nicht wegen der goldenen Armaturen, sondern weil sie auf der Suche nach einzigartigen Erlebnissen sind, die lediglich durch exzellenten Service geboten werden können. Dafür benötigt man hochqualifizierte Arbeitskräfte.
Die Arbeitswelt befindet sich im größten Transformationsprozess seit der industriellen Revolution. Es ist Zeit für die Hotellerie, Investitionen in digitale Lösungen und das wichtigste Gut – die Mitarbeiter*innen – zu tätigen
Die Digitalisierung als große Chance für die Hotellerie
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der FHWien der WKW mit der Fragestellung, wie man dem Fachkräftemangel in der Hotellerie entgegenwirken könne, kam zu folgenden Erkenntnissen: Um die Branche für Arbeitnehmer*innen wieder attraktiver zu machen, müsste der Weg für neue Arbeits- und Organisationsstrukturen geebnet werden. Zudem sieht die Studie die Ermöglichung von persönlichem Wachstum und Netzwerkarbeit als Schlüsselfaktoren für die Entwicklung von Nachwuchstalenten. Weitere Pull-Faktoren zur Gewinnung neuer Arbeitskräfte seien der Ausbau von Anreizen und Benefits, die Stärkung der Arbeitgeberattraktivität, die Verbesserung des Images der Branche sowie der vermehrte Einsatz der Digitalisierung, begleitet durch gutes Change-Management. Für mich sind dabei die Digitalisierung, die Veränderung der Arbeits- und Organisationsstrukturen sowie der Unternehmenskultur die zentralsten Faktoren.
Was heißt Digitalisierung in der Hotellerie?
Digitalisierung bedeutet für mich nicht, Menschen durch Roboter zu ersetzen. Es geht darum, digitale Lösungen für standardisierte Prozesse zu nutzen, die nicht manuell erfolgen müssen, um dadurch den Mitarbeiter*innen mehr Zeit für die individuelle Betreuung der Gäste zu ermöglichen. In Zeiten akuten Personalmangels können digitale Lösungen die Abläufe vereinfachen und die Hotel-Teams entlasten. Unmittelbaren Einfluss hatte die Pandemie für die meisten Arbeitnehmer*innen hinsichtlich der Kommunikation, die sich verstärkt auf digitale Kanäle erweiterte.
Zu Beginn der Coronakrise war ich selbst noch in der Hotellerie tätig. Herrschte bei der Einführung der Kommunikations- und Wissensmanagementplattform hotelkit noch etwas Skepsis, war die Belegschaft spätestens im ersten Lockdown sehr froh darüber, Informationen der Geschäftsführung via hotelkit zu bekommen und den Kontakt mit den Kolleg*innen über die digitale Plattform halten zu können. Das Wissen, die Handbücher, diverse Abläufe, Schulungsmaterialien, Standard Operating Procedures und weitere wichtige Informationen wurden alle zentral in hotelkit gespeichert. Trotz hoher Fluktuation ging dieses Wissen nicht verloren und kann nun zur Schulung neuer Mitarbeiter*innen genutzt werden.
Um den Prozess der Digitalisierung voranzutreiben, ist ein gutes Change-Management vonnöten. Es gilt, Führungskräften und deren Mitarbeiter*innen die Furcht vor Veränderung zu nehmen, mit ihnen ein klares Ziel zu definieren und sie auf dem Weg dorthin zu begleiten. Widerstand ist oft nichts Anderes als die Angst vor Neuem und Ungewissem. Digitale Lösungen und neue Modelle der Zusammenarbeit sollten nicht einfach über eine Organisation gestülpt werden, die Menschen müssen mitgenommen werden.
Digitalisierung bedeutet für mich nicht, Menschen durch Roboter zu ersetzen. Es geht darum, digitale Lösungen für standardisierte Prozesse zu nutzen, um dadurch den Mitarbeiter*innen mehr Zeit für die individuelle Betreuung der Gäste zu ermöglichen.
Klassisches Management war gestern – Neue Arten der Führung
Vom klassischen Management in Richtung Leadership
Erfahrungsgemäß ist es sehr wichtig, sich achtsam auf den Weg in eine neue Arbeitswelt zu begeben und diesen Prozess gemeinsam mit dem Team zu gestalten, um herauszufinden, welche „New Work“-Formate zur jeweiligen Organisation passen. Eine große Rolle dabei spielen die Führungskräfte, die in der Hotellerie oft aufgrund ihrer fachlichen Expertise und ihrer Berufserfahrung in eine höhere Position gelangen. Zur Bewältigung der Herausforderungen von heute und morgen besteht allerdings die Notwendigkeit einer Erweiterung der Führungsqualitäten, verbunden mit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Führungspersönlichkeit. Um dem eigenen Team eine Vision zu kommunizieren, die Mitglieder in Entscheidungsprozesse einzubinden und ihnen möglichst viel Sicherheit und Stabilität zu bieten, benötigt eine Führungskraft psychologisches Grundwissen und die Fähigkeit, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen ein diverses Team erfolgreich zusammenarbeiten kann. Der Fokus verschiebt sich immer mehr von „Management“ in Richtung „Leadership“. In meiner Arbeit als Coach, Trainer und Organisationsentwickler geht es mir hauptsächlich darum, Menschen und Organisationen bei ihrer Entwicklung zu unterstützen und bei Veränderungsprozessen zu begleiten.
Um dem eigenen Team eine Vision zu kommunizieren, die Mitglieder in Entscheidungsprozesse einzubinden und ihnen möglichst viel Sicherheit und Stabilität zu bieten, benötigt eine Führungskraft psychologisches Grundwissen und die Fähigkeit, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen ein diverses Team erfolgreich zusammenarbeiten kann.
Napoleons Zeit ist vorbei
Der „Hero Leader“, der wie Napoleon auf seinem hohen Ross sitzt und Befehle erteilt, ist heute zum Scheitern verurteilt. Es gilt, neue Konzepte der Führung, wie das „Humble Leadership“ Konzept von Ed und Peter Schein, anzunehmen. Die vertikale Hierarchie mit ihrer Betonung formaler, transaktionaler Beziehungen, professioneller Distanz und Führung von oben ist hoffnungslos unflexibel und veraltet. In einer komplexen Welt muss sich die Leitungsebene auf ein hohes Maß an Vertrauen und Offenheit im gesamten Unternehmen verlassen. Ein weiteres interessantes Führungskonzept von Mark McKergow ist das des „Host Leaders“, also die Führungskraft als Gastgeber*in.
Inklusives Führen: Die Schaffung eines angstfreien Raums
Fehlt es den Mitarbeiter*innen an Vertrauen, Sinn und psychologischer Sicherheit, wirkt sich dies negativ auf die Arbeitsergebnisse und das Zugehörigkeitsgefühl aus. „Inklusives Führen“ bedeutet, den Mitarbeiter*innen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich einbringen, ihre Meinung offen äußern oder auf Basis ihrer Expertise Entscheidungen der Vorgesetzten hinterfragen können. Die kollaborative Zusammenarbeit benötigt einen angstfreien Raum, in dem Bedenken, Ideen und Meinungen offen geäußert werden dürfen, ohne dass Mitarbeiter*innen negative Konsequenzen zu befürchten haben. Nur so kann sich das Team weiterentwickeln und hervorragende Ergebnisse erzielen. Die bedeutendste Aufgabe der Führungskraft im Zeitalter des „New Work“ ist, diesen Rahmen zu schaffen!
Über den Autor
Hani El Sharkawi
Gründer und CEO von Inspiring Leaders. Als Coach, Trainer, Berater und Universitätslektor gibt er seine Erfahrungen in den Bereichen Leadership, interkultureller Kompetenz und Service Excellence weiter und arbeitet mit zahlreichen Firmen zusammen.